Hologrammatica: Thriller (German Edition) by Tom Hillenbrand

Hologrammatica: Thriller (German Edition) by Tom Hillenbrand

Autor:Tom Hillenbrand [Hillenbrand, Tom]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
ISBN: 9783462318265
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch eBook
veröffentlicht: 2018-02-14T23:00:00+00:00


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Zu Hause nehme ich eine längere Nachricht für Mumeishi auf. Ich lege ihr meine Theorie mit der Software dar, wobei ich das nagende Gefühl nicht loswerde, dass sie auch darüber möglicherweise schon Bescheid weiß. Ich unterrichte sie außerdem von meiner eher vagen Hypothese bezüglich Cryptocarbon und Arkenziel. Letzteres ist ein Test. Vielleicht springt sie ja irgendwie drauf an.

Es dämmert bereits. Ich öffne die Balkontür und trete hinaus. Von hier oben kann man zwar nicht über ganz London sehen, aber zumindest über einen erheblichen Teil von Camden und den Regent’s Park. Ohne den Blick von dem Stadtpanorama abzuwenden, krame ich in meiner Jackentasche und hole Perrottes Level-I-Stripper hervor. Ich setze sie auf. Die Stadt ist noch da, aber nun sieht sie anders aus. Zuvor weiße Gebäude besitzen die Farbe alter Knochen, Backsteinfassaden wirken löchriger und rußgeschwärzter. Es sieht aus, als habe jemand einen Farbfilter über London gelegt, der die Rot- und Grüntöne dämpft. Das hier ist die ungeschminkte Realität.

Ist das so? Vermutlich ist Realität ein zu großes Wort. Ist letztlich alles eine Frage der Perspektive. Ich würde schätzen, dass es in dieser Stadt mit ihren viereinhalb Millionen Einwohnern außer mir in diesem Moment höchstens ein Dutzend weiterer Menschen gibt, die in die Abgründe des Naked Space blicken. Jene in der Hologrammatica nehmen hingegen das saubere, helle und aufgeräumte London wahr. Sehen sie eine Lüge? Ich denke nicht. Für sie gibt es das graue London der Level-I-Brille nicht. Alles, was sie sagen, was sie tun, die Art und Weise, wie sie mit der Stadt interagieren, basiert auf dem, was sie wahrnehmen. Ich muss an die indische Fabel vom Elefanten denken. Das Tier wird von mehreren Blinden untersucht. Einer bekommt ein Bein zu fassen und behauptet, der Elefant sei eine Säule. Ein anderer befingert das Schwanzende und hält den Elefanten für einen Pinsel, und so weiter.

Vermutlich haben irgendwelche Philosophen dicke Bücher über die Frage geschrieben, wie das Holonet unser Verhältnis zur Realität verändert. Nicht, dass ich ein einziges davon gelesen hätte. Vielleicht hätte ich mir diesen Vortrag über die ›Ghost Republic‹ auf der INTERQUEST anhören sollen.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich fühle mich in diesem London äußerst unwohl. Nicht die holographisch angereicherte Welt wirkt künstlich auf mich, sondern diese abgespeckte Version. Zu den Dingen, die im Naked Space fehlen, gehört die Straßenbeleuchtung. Vor Jahrzehnten hat das Holonet die gute alte Laterne abgelöst. Die allgegenwärtigen Projektoren hellen Bürgersteige und Wege nach Einbruch der Dunkelheit einfach auf. Im nackten London hingegen liegt vieles im Schatten. Auch Ampeln, Beschilderungen und Straßenmarkierungen sind verschwunden. Dafür schwebt über der Themse ein Zeppelin, ein ziemlich großes Ding, auf dessen olivfarbener Außenhaut irgendwelche militärischen Codes zu sehen sind. Außerdem kann ich eine klaffende Lücke im Stadtbild erkennen – dort, wo normalerweise das riesige St. Paul’s Memorial steht. Im Naked Space befindet sich dort nur eine spärlich begrünte Brache.

Ich nehme die Brille ab und gehe zurück ins Wohnzimmer. Mit einem Becher Kaffee setze ich mich an den Schreibtisch und gehe meine Korrespondenz durch. Eigentlich würde ich gerne einmal den ganzen Kleinkram wegräumen, der sich in den vergangenen Tagen angesammelt hat.



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